Ukraine im 4. Kriegsjahr
Im Endjahresbeitrag 2024 habe ich angekündigt, neben den technischen Beiträgen auch mehr zu anderen Themen zu schreiben. Ich wohne in Wien und die Ukraine liegt geografisch näher als das westlichste österreichische Bundesland Vorarlberg. Aber auch alle Häuser in denen ich in meinem Leben gewohnt habe wurden und werden (leider noch immer) mit Gas beheizt. Dieses Gas kam in Österreich zu Spitzenzeiten zu 80 Prozent aus Russland. Mit diesem Gas wurde und wird imperiale Expansionspolitik mit einem Krieg, der bisher hunderttausende Todesopfer gefordert hat, finanziert.
Seit 1. Jänner 2025 fließt kein russisches Gas mehr über die Ukraine, Slowakei und Österreich nach Europa, denn die Ukraine wollte zurecht den Gasliefervertrag mit Russland nicht mehr verlängern. Es mag überhaupt verwundern, dass die Gaslieferungen fast drei Jahre nach der Invasion noch weitergelaufen sind. Das sind zwar gute Nachrichten, aber die politischen Veränderungen in Europa und der USA werden den weiteren Verlauf des Krieges mitbestimmen. Also wie geht es weiter mit der Ukraine?
Trump steht vor der Tür
Die erneute Wahl Donald Trumps, mit seinen doch eher abschätzigen Meldungen zur Ukraine und der Unterstützung selbiger, wirft einen Schatten auf die Zukunft der Ukraine weiter. In Trump’scher Manier hat der alte neue Präsident im Wahlkampf angekündigt den Konflikt in 24 Stunden zu beenden. Das ist Unsinn und inzwischen wird auch eher von 100 Tagen gesprochen.
Überhaupt soll man nicht so sehr an den Lippen des Gschichtldruckers hängen, denn Trump redet viel, wenn der Tag lang ist. Viel wichtiger ist es zu sehen, was er tut, wenn die Sachen, die er sagt, die er tun wird, nicht funktionieren. Diese Aussage habe ich vom von mir sehr geschätzten dänischen Militäranalysten Anders Puck Nielsen aus einem seiner Videos nach der US-Wahl. Und ich denke in der Art muss man mit den Ergüssen des US-Präsidenten umgehen. Daher denke ich auch, dass Überlegungen warum er dies oder jenes sagt oder denkt nicht zielführend sind.
Nun habe ich mir ein sehr interessantes Interview mit dem bereits genannten Militäranalysten Nielsen angesehen. Der Titel lautet “Anders Puck Nielsen - Putin’s War not Sustainable in 2025 Without Full Mobilisation of Resources.” vom Youtube-Kanal Silicon Curtain. Die angesprochenen Punkte in diesem Interview sind von höchster Relevanz für das westliche und besonders mitteleuropäische Publikum, daher werde ich ein paar der Inhalte hier wiedergeben. Ich empfehle jedoch auch, das ganze Interview anzuhören.
Perspektivenwechsel auf Russland und die Ukraine
Anders Puck Nielsen spricht wichtige Themen an. Einerseits geht es um eine Art Themenverfehlung im Westen, dass es bei der russischen Invasion in der Ukraine um Landnahme ginge. Nielsen argumentiert, dass es eben nicht darum geht alles bis Lemberg zu besetzen, und dass Russland glücklich sei, wenn es so und so viel Quadratkilometer Land bekomme und halt nur halb-glücklich, wenn es weniger bekomme. In westlichen Medien werde oft nur diskutiert, wie viel ukrainisches Land man dem Diktator im Kreml anbieten müsse, um wieder zum Frieden zurückkehren zu können.
Diese (implizite und nicht reflektierte) Sichtweise führt dazu, dass man Russland halt nur mit so und so vielen Quadratkilometern entgegen kommen müsse, damit man den Konflikt beenden kann. Nielsen argumentiert jedoch, dass die wirkliche Frage für eine Friedenslösung sei, welche politische Ausrichtung und Positionierung die Ukraine nach dem Krieg habe. Es gehe Russland um politische Kontrolle über die Ukraine und (Ost-)Europa. Russlands imperiale Grenzen in den Köpfen sei nicht definiert, er bezeichnet in dieser Hinsicht Russland gar als grenzenlos. Ziel sei vielmehr, Russland als Weltmacht zu positionieren.
Er betont auch nicht zu übersehen, dass die Ukraine Akteursstatus hat und das hier die westliche Sicht oft der russischen gleicht, in dem Sinne, dass der Westen der Ukraine einfach einen Waffenstillstand vorschreiben kann und, dass die Ukrainer nicht einmal nichts mitzureden hätten.
Eskalation und Regime Change?
Im Europa und den USA unter Präsident Biden wurde auch immer betont, dass man den Konflikt keinesfalls eskalieren lassen möchte. Aber das geht laut Nielsen etwas am Thema vorbei, er sagt: “Escalation is a part of how you do war.” Und, dass diese gerade-genug-Unterstützung für die Ukraine letztlich zu mehr Eskalation geführt hat. Er bezieht sich dabei auf die Sabotageakte in der Ostsee und den nordkoreanischen Soldaten, die für Russland kämpfen. Gerade letztere sieht er als Beispiel dafür, wie gering Europa und die USA die Ukraine unterstützen. Während Russland verbündete hat, die sogar eigene Soldaten schicken, erlaubte Joe Biden einen etwas ausgeweiteten Einsatz amerikanischer Präzisionsartillerie.
Zur Frage wo Europa und der Westen ansetzen kann meint er auch, dass Regime Change der Knackpunkt ist, um den Konflikt zu beenden. Und das gehe nur, wenn Putin gezwungen ist Entscheidungen zu treffen, die er bisher versucht hat zu vermeiden, sprich Generalmobilisierung. Putin hat bisher immer versucht zu vermeiden der städtischen russischen Bevölkerung zu viel abzuverlangen. Eben aus dem Grund, da es seine Machtbasis destabilisieren würde.
Schwere Zeiten
Die Aussichten sind nicht rosig. Russland muss also, wenn man Nielsens Gedanken folgt, derart unter (militärischen) Druck stehen, dass er der eigenen Bevölkerung durch Generalmobilisierung so viel abverlangt (das eigene Leben, das der Söhne, Ehemänner usw.), dass dies zu einem Regime Change führt. Aber das heißt auch, dass dieser Krieg nicht so schnell zu Ende gehen wird und noch viele Menschen sterben werden.
Auf der anderen Seite gibt es nun einen Trump, der den Krieg in Windeseile beenden möchte. In Europa wiederum werben populistische Parteien mit einer schnellen Beendigung des Krieges und Wiederannäherung an Russland und verkaufen damit politische Beruhigungspillen an eine verunsicherte und teils sehr pessimistische Bevölkerung. Gleichzeitig wird auch implizit die russische Sicht der Dinge übernommen, dass die Ukrainer selbst gar kein Mitspracherecht hätten und man über deren Köpfe hinweg über das Schicksal des eigenen Landes entscheiden könne.
Dieser Konflikt wird sich nicht einfach so beenden lassen und er wird sich nur mit den Ukrainern lösen lassen können. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie sich die Situation weiterentwickeln wird.